Sonntag, 25. November 2012
L'esprit d'Albert Schweitzer
Hallo liebe Lambarene-Fans :)
Was glaubt ihr, was nach eurem Tod mit euch geschehen wird? Einzug ins Himmelreich? Wiedergeburt? Nirvana? Oder einfach das Ende?

Die Frage ist scheint ziemlich persönlich, oder? In Deutschland wird das Thema Sterben ja gerne verdrängt - hier steht es oft umso mehr im Mittelpunkt. Der eher zwanglose Umgang damit lässt sich etwa daran sehen, dass Schlafende scherzhaft als "Kadaver" bezeichnet werden. Der Tod lässt sich hier natürlich nicht so leicht vergessen wie teilweise bei uns: Krankheiten, Autounfälle, Kriminalität...zu viel Unvorhergesehenes passiert, um sich in Sicherheit zu wiegen.
Unvermeidbar ist daher das Leben nach dem Tod mit dem Leben selbst vebunden: Die Menschen sind sehr viel religiöser als bei uns. Ob sich die Menschen dabei in erster Linie als Christen oder Anhänger einer Volksreligion bezeichnen, ist zwar interessant, aber macht gar nicht mal so einen großen Unterschied. Fast jeder glaubt, dass das Leben stark durch die Meinung und den Einfluss der Ahnen aus dem Jenseits beeinflusst wird. Überall sind deren Geister lebendig und müssen immer wieder mit Gottesdiensten, traditionellen Festen und Opfergaben zufriedengestellt werden. Sonst können die Ahnen wütend werden und ihre Nachfahren mit Krankheit, Unheil und Pech bestrafen.
Der Geist Albert Schweitzers zum Beispiel, der seit bald 50 Jahren über Lambarene wacht, wird manchmal schon ganz schön sauer, wenn seine Ethik der Ehrfurcht vor dem Leben hier im Krankenhaus nicht konsequent umgesetzt wird. Dann kann es schonmal wir vor Kurzem passieren, dass plötzlich das Röntgengerät den Geist aufgibt oder der Autoklaver nicht mehr funktioniert. Kein Witz


Das Harmonium, auf dem Albert Schweitzer komponiert hat.


Albert-Schweitzers originaler Tropenhelm...nicht weitersagen, sonst wird er noch wütend und bestraft mich mit Reisedruchfall, Polizeikontrollen, Stromausfall, ...

Warum erzähle ich das Alles?
Ich habe gerade ein sehr aufschlussreiches Wochenende hinter mir. Nachdem ich am Samstag das für gabunische Verhältnisse sehr gute Albert-Schweitzer-Museum besichtigt hatte, war ich beim Vortrag einer holländischen Anthropologin, die hier seit 4 Monaten arbeitet und das Verständnis der Tuberkulose in der regionalen Bevölkerung untersucht hat. Am Sonntag war ich bei einer spirituell reinigenden Yoga-Stunde (dazu später mehr) und danach zusammen mit meinen Mitbewohnern bei einer der Kinderkrankenschwestern des Krankenhauses zum Essen eingeladen. Während wir noch das unglaublich leckere Maniokgemüse mit frittierten Kochbananen genossen, entbrannte am Esstisch eine heiße Diskussion zwischen den zwei sehr christlichen
gabunischen Krankenschwestern und dem eher traditionellen Labortechniker Arnould - moderiert durch einen jüdischen Arzt aus den USA. Es ging zuerst um den Wert von traditionellen Initiationriten und die Wirkung des halluzinogenen Iboga-Strauchs, der hier gerne gekaut wird. Später kamen wir dann auf den Einfluss von Geistern und Dämonen zu sprechen. Arnould zufolge sind die Geister der Ahnen überall spürbar - er konnte uns gleich mehrere Beispiele nennen wie unheimliche nächtliche Geräusche in seinem Haus oder die mysteriöse Leerung seines Kühlschranks. Die beiden Krankenschwestern standen dem sehr ablehnend gegenüber: Der einzig richtige Gott sei der christliche. Böse Geister existierten zwar, es sei aber besser nicht daran zu glauben, um ihnen keine Angriffsfläche zu bieten. Sei man doch mal von einem Geist befallen, könne eventuell ein Exorzismus in der Kirche Abhilfe schaffen.
Im Falle einer Krankheit sei es aber schwierig, moderne westliche Krankheiten von spirituellen Einflüssen auseinander zu halten. Oft sei erst eine spirituelle Reinigung entweder in der Kirche (oder Arnould zufolge beim traditionellen Heilder) nötig, bevor moderne Medikamente ihre Wirkung entfalten können.


Statue vor dem Haus eines wichtigen traditionellen Heilers

Ihr seht, das Verständnis von Leben, Tod und Krankheit hier ist sehr komplex. Ich will mir und euch auch nicht vormachen, besonders viel davon durchschaut zu haben. Hier kommt mir das Bild vom schwimmenden Eisberg in den Kopf, dass uns damals bei der Vorbereitung auf Kamerun gezeigt wurde: Was wir als Europäer von der anderen Kultur wahrnehmen, ist immer nur die Spitze des Eisbergs. Der Großteil - die zugrundeliegenden Wertvorstellungen, Weltanschauungen und Beziehungsmuster bliben uns verborgen.
Trotzdem glaube ich, dass die Erkenntnisse der Anthropologin und die Erzählungen der Gabuner einen ganz guten Einblick in die Vorstellungen der Menschen hier in Lambarene gegeben haben.
Aber schließlich stehe ich noch ganz am Anfang - sobald ich tiefere Erkenntnisse erlange, schreibe ich euch wieder. Bis dahin freu mich auf Kommentare!
Liebe tropische Grüße,
Jonathan


Kinder beim Übungssingen für die Kirche

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